Prävalenz
Prävalenz ist ein zentraler Begriff in der Epidemiologie und Statistik, der die Häufigkeit einer bestimmten Krankheit, eines Zustands oder eines Risikofaktors in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums beschreibt. Sie ist ein wichtiges Maß für die Krankheitslast in einer Bevölkerung und ermöglicht Rückschlüsse auf die Verteilung und das Ausmaß gesundheitlicher Probleme.
Im Gegensatz zur , die das Auftreten neuer Fälle in einem bestimmten Zeitraum misst, bezieht sich die Prävalenz auf alle bestehenden Fälle – sowohl neue als auch alte – zu einem gegebenen Zeitpunkt oder über einen definierten Zeitraum.
Arten der Prävalenz
Man unterscheidet hauptsächlich zwei Arten von Prävalenz:
- Punktprävalenz (Point Prevalence): Die Punktprävalenz gibt den Anteil der Personen in einer Population an, die zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt (z. B. am 1. Januar 2025) eine bestimmte Krankheit oder einen bestimmten Zustand aufweisen.
- Formel: Punktprävalenz = Anzahl bestehende Fälle zu bestimmtem Zeitpunkt ÷ Gesamtpopulation zu bestimmtem Zeitpunkt
- Beispiel: Die „Deutsche nationale Punkt-Prävalenzerhebung zu nosokomialen Infektionen und Antibiotika-Anwendung 2022“ des NRZ.
- Anwendung: Besonders nützlich für die Erfassung von chronischen Krankheiten oder Zuständen, die zu einem festen Zeitpunkt vorliegen.
- Periodenprävalenz (Period Prevalence): Die Periodenprävalenz gibt den Anteil der Personen in einer Population an, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. innerhalb eines Jahres) an einer Krankheit erkrankt waren oder diesen Zustand aufwiesen. Sie schließt sowohl die zu Beginn des Zeitraums bereits bestehenden Fälle als auch die während des Zeitraums neu aufgetretenen Fälle mit ein.
- Formel: Periodenprävalenz = Anzahl Personen mit bestimmtem Zustand während eines bestimmten Zeitraums ÷ Gesamtpopulation während eines bestimmten Zeitraums
- Beispiel: Das Projekt „ReFern“ des RKI, in dessen Rahmen Periodenprävalenzberechnungen zu einer Vielzahl an Krankheiten durchgeführt werden.
- Anwendung: Ideal für akute oder episodische Krankheiten, bei denen eine Punktmessung die tatsächliche Häufigkeit unterschätzen würde.
Neben diesen beiden existieren weitere, spezifischere Formen der Prävalenz:
- Jahresprävalenz (Annual Prevalence): Eine häufig verwendete Form der Periodenprävalenz, die sich auf einen Zeitraum von zwölf Monaten bezieht.
- Beispiel: Die 12-Monats-Prävalenz von Depressionen in einer Altersgruppe.
- Lebenszeitprävalenz (Lifetime Prevalence): Misst den Anteil der Personen in einer Population, die irgendwann in ihrem Leben (bis zum Untersuchungszeitpunkt) an einer bestimmten Krankheit oder einem Zustand gelitten haben.
- Beispiel: Die Lebenszeitprävalenz einer Angststörung.
- Anwendung: Besonders relevant für psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen oder chronische Krankheiten mit episodischem Verlauf, da sie das kumulative Risiko über die gesamte Lebensspanne abbildet.
- Seroprävalenz: Bezieht sich auf den Anteil der Personen in einer Population, die Antikörper gegen einen bestimmten Erreger im Blut aufweisen. Dies deutet auf eine frühere Exposition oder Infektion hin.
- Beispiel: Die Seroprävalenz von SARS-CoV-2-Antikörpern nach einer Pandemie.
- Anwendung: Wichtig zur Beurteilung der Durchseuchung einer Bevölkerung und der Immunitätslage bei Infektionskrankheiten.
- Behandlungsprävalenz (Treatment Prevalence / Administrative Prevalence): Gibt den Anteil der Personen an, die aufgrund von Kontakten mit einer Versorgungs- oder Behandlungseinrichtung (z. B. Krankenhausentlassungen, Arztbesuche, Medikamentenverordnungen) als erkrankt registriert sind.
- Anwendung: Wird oft für Routinestatistiken oder die Planung von Versorgungsleistungen verwendet, kann aber die wahre Prävalenz unterschätzen, da nicht alle Fälle im System erfasst werden.
- Verdeckte Prävalenz (Hidden Prevalence): Bezeichnet den Anteil der unbehandelten oder undiagnostizierten Fälle einer Krankheit in einer Population.
- Anwendung: Wenn zur Behandlungsprävalenz die verdeckte Prävalenz addiert wird, ergibt sich die wahre Prävalenz (Feldprävalenz), die alle bestehenden Fälle in der Bevölkerung umfasst, unabhängig davon, ob sie diagnostiziert oder behandelt wurden.
Die Wahl der geeigneten Prävalenzart hängt von der spezifischen Forschungsfrage, dem Charakter der Krankheit und den verfügbaren Daten ab. Jede Art liefert unterschiedliche Einblicke in das Krankheitsgeschehen und ist für verschiedene Aspekte der Gesundheitsplanung und -analyse relevant.
Was ist die Feldprävalenz?
Die Feldprävalenz ist ein Begriff aus der Epidemiologie, der die wahre Prävalenz einer Krankheit oder eines Zustands in einer definierten Bevölkerung beschreibt. Sie umfasst alle bestehenden Fälle in der Bevölkerung, unabhängig davon, ob diese Fälle diagnostiziert, behandelt oder den Gesundheitssystemen bekannt sind. Im Gegensatz dazu stehen die administrative Prävalenz oder Behandlungsprävalenz, die nur die Fälle erfassen, die in Registern, Krankenhäusern oder Arztpraxen dokumentiert sind.
Die Feldprävalenz wird in der Regel durch bevölkerungsbasierte Studien ermittelt, bei denen eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung direkt untersucht wird (z. B. durch Befragungen, körperliche Untersuchungen, Labortests). Dies ermöglicht es, auch die verdeckte Prävalenz zu erfassen, die sonst in den Routinestatistiken nicht auftauchen würden.
Wodurch wird die Prävalenz beeinflusst?
Die Prävalenz einer Krankheit wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst:
- Inzidenzrate: Eine höhere Inzidenz führt zu einer höheren Prävalenz.
- Krankheitsdauer: Krankheiten mit längerer Dauer (z. B. chronische Erkrankungen) weisen in der Regel eine höhere Prävalenz auf als kurzlebige Erkrankungen, selbst wenn die Inzidenz ähnlich ist.
- Heilung oder Todesrate: Eine hohe Heilungsrate oder eine hohe Mortalität senkt die Prävalenz, da Personen aus dem Pool der bestehenden Fälle ausscheiden.
- Migration: Zuzug von erkrankten Personen oder Abwanderung von Gesunden kann die Prävalenz beeinflussen.
Anwendung und Bedeutung in der Medizin
Für Ärzte und medizinisches Fachpersonal ist die Kenntnis der Prävalenz aus verschiedenen Gründen von großer Bedeutung:
- Planung von Gesundheitsdienstleistungen: Die Prävalenzdaten helfen Gesundheitsbehörden und Krankenhäusern, den Bedarf an medizinischen Ressourcen (Betten, Personal, Medikamente, Spezialgeräte) für bestimmte Krankheiten abzuschätzen und Gesundheitsdienstleistungen entsprechend zu planen.
- Risikobewertung und Screening: Eine hohe Prävalenz bestimmter Krankheiten in einer Bevölkerung kann auf das Vorhandensein relevanter Risikofaktoren hinweisen und die Notwendigkeit von Screening-Programmen (systematischen Untersuchungen) oder präventiven Maßnahmen unterstreichen.
- Erkennung von Krankheitslast: Die Prävalenz liefert ein direktes Maß für die gesamte Krankheitslast einer bestimmten Erkrankung in einer Bevölkerung, was für die Priorisierung von Forschungs- und Interventionsprogrammen wichtig ist.
- Differentialdiagnose: Das Wissen um die Prävalenz verschiedener Krankheiten kann Ärzte bei der Formulierung von Differentialdiagnosen leiten, indem sie die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens bestimmter Erkrankungen berücksichtigen.
- Öffentliche Gesundheitsmaßnahmen: Prävalenzstudien sind entscheidend für die Überwachung von Krankheitsausbrüchen, die Bewertung der Wirksamkeit von Präventionsprogrammen und die Formulierung von Gesundheitspolitik.
- Forschung: Epidemiologische Studien nutzen Prävalenzdaten, um Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und Krankheiten zu erforschen und die Ätiologie von Erkrankungen besser zu verstehen.
Demnach ist die Prävalenz ein unverzichtbares Werkzeug in der medizinischen Epidemiologie, das ein klares Bild der Verteilung und des Umfangs von Krankheiten in einer Bevölkerung liefert und somit eine Grundlage für fundierte Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung und -politik bildet.